Die Männerhasserin


Von genießerischer Verachtung erfüllt defilierte Miriam an den Schwänzen vorbei, die an ihren Bildschirmen Spalier saßen. Ihr höfliches "Auf Wiedersehen, Frau Schmidt" ließ ihr, wenn sie auch äußerlich keine Reaktion zeigte, einen wohligen Schauer über den Rücken laufen. Sie löste die Krawatte, und als sie aus der Tür war, zog sie ihr Jackett aus und ließ es am rechten Zeigefinger lässig über die Schulter baumeln. Sie freute sich, dass das Geschäft so gut lief, obwohl sie ausschließlich Männer beschäftigte. Es erfüllte sie mit Genugtuung, das "starke Geschlecht" unter ihrer Führung zu wissen, und das Bewusstsein, dass keiner ihren Anforderungen jemals genügen würde, entlockte ihr hin und wieder ein überlegenes Lächeln.
Sie setzte sich auf die Terrasse eines Cafés und bestellte ein Pils, während ihre Blicke den jungen Mädchen nachjagten, die an ihr vorübergingen, und sich an ihre schlanken Hälse, Arme, Hintern und Beine, an ihren vollen Haare, zarten Lippen, an die lächelnden Augen und an die verführerischen Rundungen hefteten. Was für einem wunderbaren Geschlecht sie doch angehörte! Allein der Gedanke an die Vertreter des anderen, ihre hässlichen zerfurchten Gesichter, ihre widerlichen Bierbäuche und die krummen behaarten Beine, ganz zu schweigen von ihren abstoßenden Geschlechtsteilen und ihrem spießigen Auftreten, konnten ihr alle Freude am Menschsein verderben.
Schließlich holte sie das Handy aus ihrer Tasche und rief Lena an; sie brauchte heute Abend nicht zu kochen, da Miriam einen bedeutenden Geschäftsabschluss zu feiern hatte. Deshalb würde sie sie zum Essen einladen, eine Flasche Sekt öffnen und sich mit ihr einen gemütlichen Abend machen...
Im Geiste malte sie sich schon aus, was nach dem Sekt kommen würde: sie dachte an Lenas heiße Küsse, ihren göttlichen Körper und ihr zufriedenes Stöhnen; nie zuvor war sie so in Stimmung wie heute.
Beschwingt ging sie zu ihrem Auto, als sie plötzlich Vera auf dem Gehweg bemerkte.

"Mensch, Miriam, dich habe ich ja eine Ewigkeit nicht gesehen!" rief sie und fiel der Freundin in die Arme. "Weißt du eigentlich schon das Neuste?"

Die Tür knallte ins Schloss, und freudig lief Lena auf Miriam zu und umarmte sie. "Hallo Liebling", rief sie, "wie war dein Tag?"
Miriam stand stocksteif vor ihr, die geballten Fäuste in den Hosentaschen.
"Was ist los?" fragte Lena ängstlich.
"Was los ist? Glaubst du, ich schufte Tag und Nacht, schließe wichtige Verträge ab und bringe das Geld nach Hause, damit du dich hinter meinem Rücken mit irgendwelchen Schwänzen triffst?"
"Was soll denn das?" fragte Lena und wich einen Schritt zurück.
"Ich habe gehört, dass du dich neulich mit einem Typen getroffen hast!"
"Mit Stefan vielleicht; ja, das wird es gewesen sein. Er ist ein Schulfreund von mir, dem ich beim Einkaufen über den Weg gelaufen bin, und wir haben zusammen einen Kaffee getrunken."
"Ein Schulfreund? Ich denke, du hast noch nie etwas mit Männern gehabt!"
"Nicht so ein Freund. Einfach einer, mit dem man sich gut unterhalten kann."
"So", schrie Miriam und warf Lena die Faust ins Gesicht, "und habt ihr euch gut unterhalten?"
Die andere Faust folgte, und fast gleichzeitig rammte sie ihr das rechte Knie in den Unterleib.
Lena, halb stehend, halb hockend, vor Schmerzen nach vorne gekrümmt und den Bauch mit den Unterarmen - ein wenig zu spät - schützend, winselte: "Aber es war doch nichts..."
Nun ließ Miriam die flachen Hände sprechen, schleuderte Lena zu Boden und trat ihr ins Gesicht. "Und das mir", geiferte sie aufgebracht, "die ich alles für dich getan habe!"
Nach einem weiteren Tritt in die Rippen mobilisierte Lena ihre letzten Kräfte, sprang auf, lief in ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
"Mach sofort auf!" Miriam trommelte mit ihren Fäusten gegen die Tür. Als dies nichts fruchtete, nahm sie ihre Stiefel zu Hilfe.
"Du sollst aufmachen! Dies ist meine Wohnung, und ich lasse nicht zu, dass ich ausgeschlossen werde!"
Minutenlang blieb ihr Kreischen unbeantwortet, und so stellte sie sich abwartend in den Flur.
Blutüberströmt, in Tränen aufgelöst, aber mit nie gekannter Selbstachtung verließ Lena endlich ihr Zimmer und ging mit ihrer Reisetasche zielstrebig auf die Wohnungstür zu. "So einfach geht das nicht, du Schlampe!" schrie Miriam und stellte sich ihr in den Weg.
"Lass mich in Ruhe, du Schwanz!" heulte Lena und stieß Miriam zu Boden.
Noch Stunden nachdem die Tür ins Schloss gefallen war lag sie dort und weinte in sich hinein.


© um 6236 RT (1995 CE) by Frank L. Ludwig