Blurry der Weltentdecker

(Übersetzung der niederländischen Erzählung Blurry, de wereldontdekker von Anne Frank)


Als Blurry noch ganz klein war, verspürte er plötzlich eine ungeheure Lust, sich einmal aus der Obhut seiner Bärenmutter zu befreien und auf eigene Faust ein wenig von der großen Welt zu entdecken.
Lange Zeit war er viel stiller als sonst, so beschäftigt war er damit, sich in Gedanken auf seine Flucht vorzubereiten.
Am Abend des vierten Tages war es endlich so weit: sein Plan stand fest und wartete nur noch darauf, ausgeführt zu werden. Am frühen Morgen würde er sich in den Garten schleichen (ganz leise natürlich, um sein Frauchen nicht zu wecken), durch ein Loch in der Hecke kriechen, und dann... ja, dann würde er die Welt entdecken!
Genau so machte er es auch, und tatsächlich wurde sein Verschwinden erst bemerkt, als er schon ein paar Stunden unterwegs war.

Blurrys ganzes Fell war schrecklich schmutzig, als er aus der Hecke heraus kroch, aber was ein richtiger Bär ist (und noch dazu ein richtig knuddeliger Teddybär), der auszieht, um die Welt zu entdecken, der lässt sich doch von einem bisschen Dreck nicht beeindrucken! Die Augen immer geradeaus gerichtet, um nicht über das unregelmäßige Pflaster zu straucheln, ging er auf die Straße zu, auf die der schmale Weg zwischen den Gärten ihn führte.
Als er dann auf die Straße kam, erschrak er wegen der vielen großen Menschen, die ihn zwischen ihren Beinen überhaupt nicht bemerkten. "Ich muss mich am Rand halten, sonst werde ich noch umgelaufen", dachte er bei sich, und das war wohl auch das Vernünftigste, was er tun konnte. Ja, Blurry war sehr vernünftig: das sieht man doch schon daran, dass er, klein wie er war, auf eigene Faust die Welt entdecken wollte!
So lief er an den Hauswänden entlang und achtete darauf, dass er nicht eingeklemmt wurde. Aber plötzlich schlug ihm das kleine Bärenherz bis zum Hals: was war denn das? Vor seinen Füßen tat sich ein großer dunkler Abgrund auf. Es war zwar nur ein Kellereingang, aber woher sollte Blurry das wissen? Ihm wurde schwindlig beim Gedanken, dass er dort womöglich hineingehen musste. Ängstlich sah er sich um, aber die behosten und berockten Beine der Menschen gingen so selbstverständlich an dem Loch vorbei, als wäre es gar nicht vorhanden.
Nachdem Blurry sich ein wenig von dem Schrecken erholt hatte, setzte er vorsichtig einen Fuß vor den anderen und balancierte behutsam um die Schlucht herum. Es dauerte nicht lange, und er konnte wieder wie vorher an den Hausmauern entlanglaufen.
"Jetzt gehe ich in die große Welt, aber was ist die Welt eigentlich? Ich kann sie durch die vielen Röcke und Hosen überhaupt nicht sehen", dachte Blurry. "Ich glaube fast, ich bin zu klein, um die Welt entdecken zu können. Aber was soll's? Wenn ich älter werde, werde ich auch größer, und wenn ich viel Dickmilch trinke (schon beim Gedanken daran musste Blurry sich schütteln), werde ich bestimmt so groß wie die Menschen. Ja, das werde ich im Auge behalten; auf die eine oder andere Art und Weise werde ich die Welt schon zu sehen bekommen."
So ging er weiter und störte sich herzlich wenig an den vielen dicken und dünnen Beinen um sich her. Aber musste er denn immerzu laufen? Er hatte schon einen Bärenhunger, und auf der Straße wurde es langsam dunkler. Dass er auch essen und schlafen musste, daran hatte Blurry überhaupt nicht gedacht. Die Planung seiner Entdeckungsreise hatte ihn so sehr in Anspruch genommen, dass er so selbstverständliche und wenig heldenhafte Dinge wie Essen und Schlafen einfach vergessen hatte. So lief er eine Weile suchend weiter, bis er eine offene Haustür entdeckte. Zunächst blieb er zögernd stehen, dann fasste er sich ein Herz und ging hinein.
Er hatte Glück, denn nachdem er durch eine weitere Tür gegangen war, sah er zwischen vier hölzernen Töpfen zwei Schalen stehen: in der einen war Dickmilch, in der anderen ein kräftiger Eintopf. Ausgehungert und verrückt nach solchen Leckereien (er wollte sich dazu zwingen, auch Dickmilch zu mögen) trank Blurry erst einmal das Milchschälchen aus, verarbeitete dann noch den Eintopf und setzte sich satt und zufrieden auf den Boden.
Aber - oh Schreck, was war das? Etwas Weißes mit großen grünen Augen kam langsam auf ihn zu und sah ihn böse an. Direkt vor ihm blieb es stehen und fragte mit einer hohen Fistelstimme: "Wer bist du, und warum hast du mein Essen gegessen?"
"Ich bin Blurry, und bei der Entdeckung der Welt brauche ich doch auch ein wenig Verpflegung, deshalb habe ich dein Essen gegessen, aber ich wusste wirklich nicht, dass es deins war, ehrlich!"
"Ach so, die Welt willst du entdecken. Aber warum hast du ausgerechnet meine Schale dazu ausgesucht?"
"Weil ich hier keine andere gesehen habe", antwortete Blurry so unfreundlich, wie er nur konnte. Dann besann er sich und fragte mit etwas höflicherer Stimme: "Aber wie heißt du eigentlich, und was bist du für ein seltsamer Mensch?" - "Ich heiße Mirwa und bin eine Angorakatze. Ich bin sehr wertvoll, das sagt man mir jedenfalls immer. Aber weißt du, Blurry, ich fühle mich oft so allein; willst du mir nicht wenig Gesellschaft leisten?"
"Ich werde bei dir schlafen", erwiderte Blurry beherzt, als würde er Mirwa damit eine große Gunst erweisen. "Aber morgen muss ich weiterziehen, um die Welt zu entdecken."
Damit war Mirwa erst einmal zufrieden. "Komm mit", sagte sie, und Blurry folgte ihr in das nächste Zimmer, in dem er wieder nichts anderes sah als lauter Töpfe: Holztöpfe, große Töpfe, kleine Töpfe. Aber es gab noch etwas: in einer Ecke stand ein Korb aus Schilf, in dem ein grünes Seidekissen lag.
Mirwa setzte sich mit ihren schmutzigen Pfoten auf das Kissen, aber Blurry fand es nicht in Ordnung, seinen Schlafplatz dreckig zu machen. "Kann ich mich nicht irgendwo waschen?" fragte er.
"Natürlich", antwortete Mirwa, "ich werde dich so waschen, wie ich mich auch wasche." Blurry war ihre Methode vollkommen fremd, und das war auch gut so, denn sonst hatte er sie wohl gar nicht erst damit anfangen lassen. Nun befahl ihm die Katze, sich aufrecht hinzustellen, und langsam leckte sie mit ihrer Zunge über Blurrys Pfoten. Der war kitzlig und begann zu zittern, und zaghaft fragte er sie, ob das ihre Vorstellung vom Waschen sei.
"Jawohl", antwortete sie, "du wirst sehen, wie schön du durch die Katzenwäsche wirst. Richtig glänzen wirst du; ein glänzender Teddybär hat es viel einfacher, weiterzukommen, und natürlich kann er dann auch leichter die Welt entdecken."
Blurry bemühte sich jetzt, stillzuhalten, und weil er ja ein tapferer Bär war, gelang es ihm natürlich auch. Mirwas Wäsche dauerte entsetzlich lange. Blurry wurde ungeduldig, vom ewigen still stehen bekam er Pfotenschmerzen, aber endlich, endlich glänzte er wirklich!
Mirwa ging wieder in ihren Korb, und Blurry, der jetzt todmüde war, legte sich vor sie hin. Mirwa deckte ihn, um es einmal so zu nennen, mit ihrem eigenen Fell zu, denn sie lag schon beinahe auf ihm drauf.
Es dauerte keine fünf Minuten, und sie waren beide eingeschlafen.

Am nächsten Morgen wachte Blurry erstaunt auf, und es dauerte eine ganze Weile, bis er sich darüber klar wurde, was da auf seinem Rücken lag. Mirwa schnarchte noch, und Blurry wollte frühstücken. Ohne sich um den Schlaf seiner Gastgeberin zu scheren, schüttelte er sie von sich herunter und befahl ihr: "Gib mir bitte mein Frühstück, Mirwa. Ich bin wahnsinnig hungrig."
Mirwa gähnte lange und gründlich, reckte sich, bis sie doppelt so groß zu sein schien wie sonst, und antwortete: "Nein, du bekommst nichts mehr. Mein Frauchen darf nicht merken, dass du hier bist; du musst so schnell wie möglich durch den Garten verschwinden."
Sie sprang aus ihrem Körbchen, und Blurry musste mitgehen: quer durch das Zimmer, zur Tür hinaus, durch eine andere Tür hindurch und durch eine Glastür in den Garten. "Gute Reise, Blurry. Auf Wiedersehen!" - Und weg war sie.

Einsam und nicht mehr so ganz vom Gelingen seines Vorhabens überzeugt (was sicher das Ergebnis der letzten Nacht gewesen war), ging Blurry durch den Garten und kam unter der Hecke hindurch wieder auf die Straße. Wohin sollte er jetzt gehen, und wie lange würde es noch dauern, bis er endlich die Welt entdecken würde? Er wusste es nicht. Langsam ging er die Straße entlang, bis er plötzlich gegen ein großes vierpfotiges Etwas stieß. Es machte schrecklich laute Geräusche, so dass Blurry fast taub davon wurde. Ängstlich presste er seinen Körper, so gut es eben ging, an die steinerne Hauswand. Unmittelbar vor ihm blieb das Ungetüm stehen und kam dann langsam auf ihn zu. Vor Angst begann Blurry zu weinen, aber daran störte sich das große Ding überhaupt nicht; im Gegenteil, es setzte sich hin und hatte nichts Besseres zu tun, als das arme Teddybärchen mit großen Augen anzustarren.
Blurry zitterte, aber er nahm seinen ganzen Mut zusammen und fragte: "Was willst du von mir?" - "Ich will dich nur ein wenig anschauen, weil ich so etwas wie dich noch nie gesehen habe."
Blurry war erleichtert, dass man mit den Tieren auch sprechen konnte, und er wunderte sich darüber, dass er sich scheinbar nur mit seinem Frauchen nicht verständigen konnte. Er hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn das große Tier sperrte seinen Rachen auf und ließ alle Zähne sehen, und vor ihm hatte Blurry noch mehr Angst als vor Mirwa. Was konnte dieser Riese nur mit ihm vorhaben? Das fand er früher heraus, als ihm lieb war, denn ohne ihn zu fragen nahm das Tier Blurrys Nacken zwischen die Zähne und trug ihn durch die Straßen.
Weinen konnte Blurry nicht mehr, weil er dann erstickt wäre, und schreien konnte er noch weniger; das einzige, was ihm übrig blieb, war zu zittern, und davon ist noch niemand zuversichtlicher geworden.
Nun brauchte er wenigstens nicht selber zu laufen, und wenn sein Nacken nicht so geschmerzt hätte, wäre es gar nicht so schlecht gewesen - fast wie Reiten. Im Grunde war es ja gar nicht so schlimm. Ach, wie schläfrig man von diesem ständigen Hin und Her wird. Wohin reiten wir eigentlich? Wo...? Wohin...? Blurry, immer noch zwischen den Zähnen des großen Tieres eingeklemmt, war eingedöst.
Sein Schläfchen dauerte allerdings nicht lange, denn das große Biest wusste plötzlich nicht mehr, warum es das seltsame Ding überhaupt mit sich herumschleppte. Achtlos ließ es Blurry fallen und lief bellend weiter.
Da lag nun der kleine, hilflose Bär, der die Welt entdecken wollte, ganz allein mit seinem Schmerz. Irgendwann stand er wieder auf, um nicht von den vielen Füßen zertrampelt zu werden, rieb sich die Augen und sah sich um. Weniger Beine, weniger Mauern, weniger Steine unter den Pfoten als sonst und viel mehr Sonne - sollte das vielleicht schon die Welt sein? In seinem Köpfchen war kaum Platz genug zum Denken, denn alles klopfte und hämmerte darin. Er mochte nicht mehr weiter gehen; wozu auch? Wohin konnte er denn noch gehen?
Mirwa war weit fort, seine Mutter und sein Frauchen noch viel weiter. Nein, jetzt, wo er sich schon einmal auf den Weg gemacht hatte, musste er auch weiterziehen, bis er die Welt entdeckt hatte.
Erschrocken drehte er sich um, als er hinter sich Stimmen hörte: man würde ihn doch nicht wieder beißen wollen? Aber nein, es war ein kleines Mädchen, das Blurry entdeckt hatte.
"Sieh mal, Mutti, ein Teddy! Kann ich ihn mitnehmen?" fragte es seine Mutter.
"Nein, Kindchen, das ist ein widerlicher Teddy. Sieh doch nur, er blutet ja!"
"Das ist doch nicht so schlimm, das können wir zu Hause abwaschen; ich nehme ihn mit, dann habe ich etwas zum Spielen."
Blurry verstand nichts von alledem, weil er ja nur die Sprache der Tiere beherrschte, aber das kleine Mädchen mit den blonden Haaren sah sehr nett aus, und deshalb wehrte er sich auch nicht, als er in ein Tuch gewickelt und in eine Tasche gesteckt wurde. So reiste er dann, ständig hin und her geschwungen, weiter durch die Welt.
Nachdem sie eine Weile gelaufen waren, wurde Blurry aus der Tasche genommen und aus dem Tuch gewickelt. Das Mädchen nahm ihn auf den Arm, und jetzt konnte er die Straße zum ersten Mal von oben sehen.
Wie viele Steine er da vor sich erblickte, so hoch aufeinander getürmt und manche mit einer weißen Öffnung darinnen. Und obendrauf, fast schon im Himmel, ragte etwas heraus, so wie die Feder auf Frauchens Hut. Dann entdeckte Blurry, dass Rauch daraus aufstieg, und fragte sich, ob die Feder wohl eine Zigarette im Mund hatte, so wie der Herr, der zu Hause immer die Wohnung damit vollqualmte. Wie seltsam das alles war! Über den Steinen war scheinbar noch viel Platz, denn da war alles blau; aber jetzt kam Bewegung hinein, und etwas Weißes bedeckte das Blau und kam immer näher, so dass es beinahe über seinem Kopf hing. Dann zog es weiter, und beim hohen Rauchdings war alles wieder so blau wie vorher. Auf der anderen Seite tutete und hupte etwas, das schnell an ihm vorbeilief. Aber wo waren die Pfoten, auf denen es gehen musste? Blurry sah keine, nur ein paar runde, aufgeblasene Dinger. Es war schon der Mühe wert, die Welt entdecken zu wollen; wenn er immer nur zu Hause herumsitzen würde, weshalb wäre er dann überhaupt geboren? Doch nicht, um immer nur bei seiner Mutter zu bleiben. Etwas sehen, etwas erleben: dafür wollte er groß werden. Oh ja, Blurry wusste ganz genau, was er wollte!
Endlich hielt das Mädchen an einer Tür und ging mit ihm hinein. Das erste, was Blurry zu sehen bekam, war ein ähnliches Wesen wie Mirwa, und er erinnerte sich, dass man es Katze nannte. Diese strich andauernd um die Beine des kleinen Mädchens, das sie unsanft zur Seite stieß und mit Blurry auf ein weißes Regal zulief, wie es sein Frauchen auch hatte. Das heißt, es war gar kein richtiges Regal, sondern ein großer Topf mit glatten Wänden, der hoch über dem Boden angebracht war. Obendrauf war etwas metallenes, an dem man drehen konnte, und genau das tat das blonde Mädchen jetzt. Blurry wurde in dies kalte Ding hineingesetzt, und das Mädchen begann ihn zu waschen, besonders den Nacken, in dem er die Bisswunde hatte. Es tat ziemlich weh, und Blurry brummte böse, aber daran störte sich niemand. Zum Glück dauerte die Wäsche nicht so lange wie die von Mirwa, aber es war alles viel kälter und nasser.
Das Mädchen war bald fertig mit ihm, trocknete ihn ab, wickelte ihn in eine Decke und steckte ihn in ein Bett, das ständig von der einen Seite auf die andere schaukelte, genau wie das, in das sein Frauchen ihn immer gelegt hatte. Warum denn ins Bett? Blurry war überhaupt nicht müde und wollte auch nicht schlafen gehen.
Kaum hatte das Mädchen das Zimmer verlassen, ließ Blurry sich aus dem Bett gleiten, und nachdem er durch etliche Türen gegangen war, stand er endlich wieder auf der Straße.

"Nun muss ich erstmal was essen", dachte Blurry und schnüffelte. Hier in der Nähe musste es etwas zu essen geben, er konnte es schon riechen. Er ging dem Duft nach, und wenig später stand er vor der Tür, der der verlockende Geruch entströmte.
Er schlüpfte zwischen den bestrumpften Beinen einer älteren Dame hindurch in den Laden. Hinter einem großen Tisch standen zwei Mädchen, die ihn bald entdeckt hatten. Sie mussten selbst den ganzen langen Tag arbeiten und konnten eine Hilfe gut gebrauchen. Deshalb nahmen sie ihn und setzten ihn in einen dunklen Raum, in dem es entsetzlich warm war.
Aber das war halb so schlimm, denn die Hauptsache war, dass er essen durfte, soviel er wollte. Auf dem Boden und auf niedrigen Regalen fand er unzählige Brötchen und Törtchen, so viel und so appetitlich, wie Blurry sie noch nie gesehen hatte. Aber was hatte er überhaupt schon gesehen? Viel war es jedenfalls nicht.
Gierig fiel er über all die Süßigkeiten her und aß so viel, dass ihm beinahe schlecht davon wurde. Dann sah er sich weiter um; es gab wirklich viel zu sehen in diesem Schlaraffenland, überall Brote, Brötchen, Kuchen und Torten, man brauchte nur zuzugreifen. Blurry stellte sich auf die Beine, die inzwischen schon ganz heiß geworden waren, und sah sich durch das Fenster den regen Betrieb auf der Straße an.
Viel Zeit zum Träumen blieb ihm nicht. Die Mädchen, die schon gelegentlich nach ihm gesehen hatten, drückten ihm einen großen Besen in die Hand und zeigten ihm, wie er damit umzugehen hatte. Den Boden fegen, pft, das kann Blurry doch schon; immerhin hatte er seiner Mutter einmal dabei zugesehen. Tapfer machte er sich an die Arbeit, doch sein Eifer hielt nicht lange vor. Wie schwer der Besen doch war, und der Staub kribbelte so sehr in der Nase, dass er davon niesen musste. Und es war so warm, dass er sich immer beklommener fühlte von der ungewohnten Arbeit in dem schwülen Raum. Aber sobald er ein wenig verschnaufen wollte, kam sofort jemand an, der ihn wieder an die Arbeit setzte und außerdem noch vor den Kopf schlug.
"Wäre ich doch nicht so einfach hier hereingegangen", dachte Blurry bei sich, "dann wäre mir diese dumme Arbeit erspart geblieben."
Aber nun konnte er es nicht mehr ändern; er musste fegen, also fegte er.
Nachdem er sämtlichen Schmutz auf einem großen Haufen zusammen gekehrt hatte, nahm ihn eines der Mädchen an die Hand und brachte ihn in eine Ecke, in der lauter lose, gelbe, harte Holzspäne lagen. Sie legte ihn auf die Späne, und Blurry verstand, dass er jetzt schlafen sollte.
Behaglich, als läge er im bequemsten Bett der Welt, streckte Blurry sich und schlief ein.

Um sieben Uhr musste er aufstehen, durfte sich wieder am Gebäck satt essen und wurde wieder an die Arbeit gesetzt. Der arme Blurry war noch gar nicht ganz ausgeschlafen von dem langen anstrengenden Tag, den er hinter sich hatte. Er war es nicht gewohnt zu arbeiten, und vor allem die Hitze machte ihm entsetzlich zu schaffen. Sein Köpfchen und seine Glieder schmerzten, und er hatte das Gefühl, dass sein ganzer Körper anschwellen würde.
Nun sehnte er sich zum ersten Mal nach seinem Zuhause zurück, seiner Mutter, seinem Frauchen, seinem gemütlichen Bett und dem faulen Leben, das er dort hatte, aber - wie sollte er zurückkommen? Flucht war unmöglich, denn man passte gut auf ihn auf, und der einzige Weg nach draußen führte an den beiden Mädchen vorbei. Die würden ihn dann am Tresen aufhalten, falls er überhaupt so weit kommen sollte. Nein, Blurry musste abwarten.
Seine Gedanken waren verwirrt, und er fühlte sich schwach. Alles begann sich um ihn zu drehen, und er setzte sich ein wenig hin. Niemand ermahnte ihn diesmal, und als er sich besser fühlte, machte er sich wieder an die Arbeit.
Nachdem Blurry eine ganze Woche lang von früh morgens bis in die Nacht gefegt hatte, kannte er gar nichts anderes mehr. Kleine Bären vergessen schnell, und das ist gut so; seine Mutter und sein Zuhause hatte er zwar noch nicht vergessen, aber es war alles so unerreichbar geworden.

Die beiden Mädchen, die Blurry gefangen hatten, lasen eines Tages in der Zeitung: "Belohnung für das Zurückbringen eines kleinen braunen Teddybären, der auf den Namen Blurry hört."
"Ob das unser Teddy ist?" fragten sie sich. "Er arbeitet nicht viel, und das kann man von so einem kleinen Tier ja auch nicht erwarten, und wenn wir für sein Zurückbringen noch eine Belohnung bekommen, haben wir sicher mehr davon."
So liefen sie durch die Bäckerei und riefen: "Blurry!"
Blurry sah von der Arbeit auf; hatte ihn da nicht jemand gerufen? Der große Besen fiel zu Boden, und seine Ohren richteten sich auf. Die Mädchen kamen näher und riefen wieder: "Blurry!"
Hastig lief er auf die beiden zu.
"Ja, er heißt Blurry, da gibt es gar keinen Zweifel", sagte das eine Mädchen zum anderen. "Am besten wird es sein, wenn wir ihn gleich heute Abend zurückbringen."
Und so wurde Blurry noch am selben Tag im Haus seines Frauchens abgegeben, und die Mädchen bekamen die versprochene Belohnung.
Von seinem Frauchen bekam Blurry ein paar Nackenschläge fürs Ausreißen und ein Küsschen fürs Wiederkommen. Dann musste er sich vor seiner Mutter rechtfertigen.
"Blurry, warum bist du denn fortgelaufen?"
"Ich wollte die Welt entdecken", antwortete Blurry.
"Und, hast du sie entdeckt?"
"Nun ja, ich habe viel, sehr viel gesehen, ich trinke jetzt Dickmilch, und ich bin ein erfahrener Bär geworden."
"Das glaube ich gerne; aber ich habe dich gefragt, ob du die Welt entdeckt hast."
"Tja, also... na ja, eigentlich nicht. Weißt du, ich habe die Welt einfach nicht finden können."


© 6234 RT (1993 CE) by Frank L. Ludwig